Mittwoch, Januar 04, 2006

Kleiner Leitfaden für Erstgeiseln

Man möchte wahrlich keine Geisel sein in diesen Zeiten. Wie man’s macht, ist es falsch. Statt sich zu freuen und Gott zu preisen, dass irgendwelche Landsleute nicht an Langeweile oder hitzigem Frieselfieber oder irgendwas Arabischem gestorben sind, jammert der Deutsche rum, weil ihm irgendein Detail nicht passt. Frau Osthoff ist ihm zu anders („Die ist doch nicht normal!“), Herr Chrobog zu privilegiert („Der hat ja gar nicht richtig gelitten!“), und Frau Wallert aus Göttingen damals war zu weinerlich („Nervig, so was!“). Irgendwas ist immer. Das Auswärtige Amt sollte einen Leitfaden für Erstgeiseln herausbringen: „So müssen Sie sich als Geisel verhalten, damit die ,Bild‘-Zeitung Sie hinterher noch mag.“ Erste Regel: Sagen Sie immer, dass Sie sofort nach der Befreiung direkt nach Deutschland fliegen möchten. Zur Not in einer 40 Jahre alten kasachischen Transportmaschine ohne Bordklo, und zwar im Stehen. Sonst gelten Sie als undankbarer Sonderling.Zweite Regel: Treten Sie nach der Rückkehr zerknirscht auf. Geben Sie zu, dass es natürlich ein Fehler war, in ein Land ohne Mülltrennung und 24-Stunden-Rohrreinigungs-Notdienst zu reisen. Kündigen Sie an, dass Sie künftig nur noch den Teutoburger Wald ansteuern werden. (Sollten Sie im Teutoburger Wald entführt werden, verraten Sie es niemandem. Peinlich, so was.) Dritte Regel: Behaupten Sie hinterher niemals, Sie seien wie ein Gast behandelt worden. Der hart arbeitende Steuerzahler hat kein Verständnis dafür, wenn zwei Wochen Geiselhaft nach zwei Wochen Robinson-Club klingen. Sagen Sie Sätze wie: „Wir hatten nicht mal Klopapier.“ Man wird sich Ihrer annehmen.Vierte Regel: Halten Sie sich bereit für die große Familienzusammenführung bei „stern TV“. Sollte es interne familiäre Probleme geben – lächeln Sie trotzdem. Sie sind jetzt eine öffentliche Person. Der Fernsehzuschauer erwartet Glückstränen und Gruselstorys. Und Fernsehzuschauer können sehr böse werden, wenn man sie enttäuscht.Fünfte Regel: Lassen Sie sich überhaupt nur entführen, wenn Sie jung, blond und Seite-1-tauglich sind. Es sollten professionell ausgeleuchtete Archivbilder in ausreichender Qualität vorliegen. Und: Seien Sie irgendwas Soziales. Krankenschwester vielleicht. Am besten allein erziehend. gri ( HAZ)

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